banner2.jpg

Wenn Maschinen lernen: was ist unsere Lektion?

Das Wort ‚Computer’ bezeichnete im angloamerikanischen Sprachgebrauch noch bis in die 50-er Jahre einen Beruf und nicht etwa eine Maschine. Gemeint waren hier Beschäftigte, die mit Unterstützung einfacher mechanischer Rechenmaschinen arithmetische Kalkulationen oder einfache Näherungsverfahren durchführten. Vielleicht wird es gar nicht so lange dauern, bis auch der ‚Übersetzer‘ bzw. ‚Translator‘ als Berufsbezeichnung verschwunden sein wird und diese Begriffe nur noch mit entsprechenden Apps identifiziert werden.

Dass der ‚Computer’ den ‚Computer’ ersetzt kann, mag noch einsichtig sein, wenn man berücksichtigt, dass ‚Rechnen‘ offenbar die Grundfunktion dieser manchmal so mysteriös erscheinenden Maschine ist. Dass aber der ‚Computer‘ auch den ‚Übersetzer’ ersetzen könnte, wird für viele wohl nicht in gleicher Weise selbstverständlich sein. Fächer wie Englisch, Französisch oder Spanisch waren in der Schule doch immer etwas ganz anderes als Mathe. ‚Übersetzen‘ soll also am Ende auch nur ‚Rechnen‘ sein?

Lektion 1: was gerade passiert

Eine neue Generation von Softwarelösungen dringt unter dem Stichwort ‚künstliche Intelligenz‘ in Anwendungsbereiche vor, die bisher von einer tieferen Durchdringung mit IT-Systemen eher verschont geblieben sind. Das Thema ‚maschinelle Übersetzung‘ ist dabei nur ein besonders plastisches Beispiel, das im Prinzip jeder über entsprechende Internetangebote nachvollziehen kann. Versuche zur maschinellen Übersetzung von Texten gehen bis in die 50-er Jahre zurück. Das man heute hoch qualifizierte Übersetzungen u.a. auch von Texten der Weltliteratur automatisch produzieren kann, darf in der Tat als echter Fortschritt angesehen werden. Der Durchbruch ist hier tatsächlich auch erst in den letzten Jahren durch die Verwendung ‚künstlicher neuronaler Netze‘ erfolgt.
Solche spektakulären Entwicklungen, die aktuell nicht nur die maschinelle Übersetzung von Texten betreffen, sondern genauso gut auch Themen wie ‚assistiertes/ autonomes Fahren‘ oder die Nutzung von ‚Sprachassistenten‘, befördern immer auch viele Missverständnisse. Künstliche Intelligenz ist eine bestenfalls mäßig gelungene Übersetzung von artifical intelligence. Rechner und Software sind Werkzeuge, der Ausdruck Kollege Computer ist schlicht irreführend.
Neue Softwarelösungen insbes. also die ‚künstliche Intelligenz‘ wird immer weiter in neue Anwendungsgebiete vordringen, aber deshalb ist keineswegs sichergestellt, dass wichtige Zukunftsthemen wie z.B. ‚Mobilität‘ oder ‚Kommunikation‘ allein durch ‚künstliche neuronale Netze‘ vollständig abgedeckt werden können.
Zu dieser Problematik in Verbindung mit der Analyse von Daten aus dem Rechnungswesen passt folgende Bemerkung von Prof. Dr. Georg Herde aus dem Forum 2021:

‚Ein KI-System muss an ... geänderte Rahmenbedingungen angepasst werden, d.h. es muss erneut trainiert werden mit Hilfe eines neuen „gelabelten“ Trainingsdatensatz, der den geänderten Umständen Rechnung trägt. Wenn dieser Vorgang im internationalen Raum stattfindet, sind grenzüberschreitende Rechtsnormen, unterschiedliche Sprachen, Währungen, Buchungspraktiken etc. ergänzend zu berücksichtigen. Ein Modell zu finden, das hier immer passt und nicht zu allgemein oder zu speziell ist, stellt eine sehr große Herausforderung dar.
Es ist die Frage berechtigt, auf welcher Basis ein Algorithmus dann lernen soll und wie lange seine Konfiguration gültig sein wird, wenn sich die Realität und die Rahmenbedingungen so schnell ändern können?‘

Es wird also auch, wenn es um die Analyse von Daten aus dem Rechnungswesen geht, Systeme ganz anderen Typs brauchen, um in Verbindung mit den manchmal auch eher beschränkten Datenmengen brauchbare Ergebnisse zu liefern.

Lektion 2: was wir jetzt lernen müssen

Mir sind Fragen, die ich nicht beantworten kann lieber als Antworten, die ich nicht in Frage stellen darf. (Max Erik Tegmark, schwedischer Physiker, * 1967)

IT-Systeme sind keine Kollegen schon gar keine intelligenten Kollegen. Intelligenz brauchen die Entwickler und die Anwender der Systeme gleichermaßen. Nur so können neue und bessere Resultate entstehen.
Was die diversen IT-Systeme ‚neuen Typs‘ wie Suchmaschinen, Übersetzungsprogramme etc. auszeichnet, ist u.a. ein neues Verständnis von Syntax und Semantik von Daten oder Texten. Suchmaschinen fördern ‚Treffer‘ zu Tage, die den Eindruck erwecken könnten, als hätten sie die Semantik der Anfrage quasi deren ‚Sinn‘ tatsächlich verstanden. Erst recht könnte man solche Überlegungen angesichts der Leistungen aktueller Übersetzungsprogramme auch für deren hoch qualifizierte Behandlung von Texten anstellen. Es bleibt aber dabei: alle Programme können immer ‚nur‘ rechnen und nicht ‚denken‘. Daten werden dabei immer rein syntaktisch behandelt und nicht ‚verstanden‘. Etwas ganz anderes ist die Frage, ob unser Verständnis von Syntax vs. Semantik, von Rechnen vs. Denken nicht grundsätzlich neu überdacht werden muss. Hier muss auch die Frage nach den oft in Zusammenhang mit ‚neuen‘ Softwarelösungen angemahnten ‚Erklärungskomponenten‘ ansetzen. Auch ‚neue‘ IT-Lösungen können die Wirklichkeit nicht ‚verstehen‘, wir müssen aber die Wirklichkeit der neuen IT-Lösungen verstehen. Nur so ist deren Einsatz letztlich überhaupt möglich und vertretbar. Die Frage nach einer ‚Erklärungskomponente‘ muss dabei wohl von Fall zu Fall unterschiedlich betrachtet werden.

Die großen Herausforderungen um die es hier geht, lassen sich nur Schritt für Schritt bewältigen. Das Forum 2022 bietet wie in den Vorjahren Beiträge aus verschiedenen Fachrichtungen und Disziplinen, die Perspektiven und Lösungsansätze aufzeigen.

Prof. Dr. Julia Knopf, FoBiD Forschungsinstitut Bildung Digital (Geschäftsführende Leitung), eröffnet das Forum 2022 mit Überlegungen zur beruflichen Bildung angesichts der Anforderungen durch die Digitalisierung der Unternehmen. Es geht in diesem Vortrag speziell auch um die Möglichkeiten, die es hier für Auditing, Tax und Advisory gibt. Im Fokus ist dann auch das Erfordernis einer didaktischen Transformation.

Melanie Sack, Institut der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. (IDW, Stellvertretende Vorstandssprecherin), geht es in ihrem Vortrag um den Einsatz der künstlichen Intelligenz (KI) in der Wirtschaftsprüfung. Es geht hier um drei Punkte:
• Beurteilung der KI für rechnungslegungsrelevante Zwecke im zu prüfenden Unternehmen
• Einsatzes von KI außerhalb der Abschlussprüfung als sog. Assurance-Dienstleistung, um Vertrauen in den Einsatz dieser Systeme zu schaffen
• KI-basierte Assistenzsysteme beim Prüfer
Der Vortrag geht darauf ein, wie Unternehmen und Wirtschaftsprüfer auf die Entwicklungen im Bereich KI reagieren können und welche Rolle in diesem Zusammenhang das IDW spielen kann.

Anna Buschbeck, BDO AG (Partnerin), spricht über die Folgen der Digitalisierung von Unternehmensprozessen und der fortschreitenden Vernetzung für den Wirtschaftsprüfer bei der Jahresabschlussprüfung oder auch bei forensischen Untersuchungen. Bei der Analyse von Daten die tatsächlich relevanten Informationen zu erkennen und keine wesentlichen zu übersehen, stellt sich als immer größere Herausforderung dar. Hier sind Ansätze für den Einsatz von KI-basierten Tools.

Günter Pesch und Sebastian Kiefer, DATEV eG, haben erklärbare Künstliche Intelligenz (KI) als eine Schlüsselkomponente für Black-Box Machine Learning (ML)-Ansätze im Fokus. Sie schlagen eine ML-Architektur vor, die Finanzprüfern helfen soll, indem sie anomale Datenpunkte transparent erkennt. Diese Architektur ebnet den Weg für eine modellunabhängige Erklärbarkeit für unüberwachte Anomaliedetektion. Sie lässt sich zudem problemlos auf andere unüberwachte ML-Probleme wie Clustering-Probleme übertragen.

Prof. Dr. Melanie Kappelmann-Fenzl, Technische Hochschule Deggendorf (Lehrgebiet Angewandte Biowissenschaften), stellt Fragen nach der Vergleichbarkeit von Fragstellungen in der Betriebswirtschaft mit denen der Biologie. Wagt man den Blick in andere Fachbereiche, erkennt man oft Parallelen, die man nicht erwartet hätte.
Um biomedizinische Daten professionell handhaben und spezifische prognostische, prädiktive, diagnostische etc. Fragen beantworten zu können werden Algorithmen, Skripte, Software-Tools, Datenbanken usw. genutzt. Die Fragestellung ist primär die gleiche wie in der Wirtschaftsprüfung: Wo ist der Fehler? Gibt es eine Systematik?

Dipl.-Fin. (FH) Gregor Danielmeyer, Oberfinanzdirektion NRW Münster, geht es in seinem Beitrag darum wie die Besteuerungsgrundlage von virtuell agierenden Steuerpflichtigen verprobt werden können. Das Steuerausfallrisiko verlagert sich zunehmend auf virtuell und digital tätige Steuerpflichtige aus den Bereichen E-Commerce, Influencer und NFT-Trading.  Insbesondere Geschäftsvorfälle, die auf der Blockchain erfasst werden, stellen für alle beteiligten Akteure eine besondere Herausforderung dar. Wie monetarisieren z.B. Influencer aus dem Gaming-Bereich Ihre Einkünfte? Welche Bedeutung haben Non-Fungible Tokens (NFTs) in der Wirtschaft?“